Ein Rodenkirchener wird plötzlich obdachlos

Am 23. Februar 2025 ist Bundestagswahl. Die Laternen entlang der Hauptstraßen biegen sich inzwischen vor Wahlplakaten, auf den Wochenmärkten in den Veedeln buhlen die einzelnen Parteien mit Flyern und Kugelschreibern um jede Stimme, auch in Rodenkirchen. Wer durch die Passage von der Hauptstraße zum Maternusplatz möchte, der wird quasi umzingelt von Politikern fast aller Parteien.
Mittendrin hat Hans Baars seinen Stand aufgebaut, ein Sparschwein, einige Flyer und die Obdachlosenzeitung „Draussenseiter“. Die versucht er für 3,40€ das Exemplar zu verkaufen. Die Hälfte darf er behalten, die andere geht an die Oase, den Verein, der sich um Menschen ohne Wohnung kümmert. Im Gegensatz zu den Politikern darf Hans Baars die Menschen nicht aktiv ansprechen, sonst kommt das Ordnungsamt.
„Ich habe heute gerade mal drei Zeitungen verkauft, es interessiert sich keiner dafür. Ich werde weder von den Passanten noch von den Politikern wahrgenommen. Nicht einer hat mich gefragt, wer ich bin, weshalb ich dort stehe. Ich bin uninteressant, weil Menschen ohne Adresse eh nicht wählen dürfen“, sagt der 64-jährige, der vor vier Monaten obdachlos geworden ist. Erst verlor er die Arbeit, dann die Wohnung.
Baars ist im Veedel nicht unbekannt, er war sechs Jahre lang Zeitungszusteller im Bezirk Rodenkirchen, hat täglich 250 Haushalte mit der Süddeutschen, der FAZ, der Welt, dem KSTA und diversen Magazinen beliefert. „Ich bin immer zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens unterwegs gewesen. Ich habe die Zeitungen, die an die Aral-Tankstelle nach Sürth geliefert wurden, zunächst sortiert, in meinem Fahrradanhänger verpackt und los ging es. Vor sechs Monaten rief mich mein Chef ein und sagte, immer mehr Leute kündigen die Zeitungen, wir brauchen dich nicht mehr. “
Die fristlose Kündigung traf den Zeitungszusteller völlig unvorbereitet. Von einem Monatsverdienst von 1600€ netto auf null. Bald war er mit seinen Mietzahlungen rückständig und musste seine Wohnung in der Wilhelmstrasse, in der er 16 Jahre gewohnt hatte, verlassen.
„In meinem Alter obdachlos zu werden, das ist einfach schrecklich. Ich habe mich geschämt und am Anfang versteckt. Ich habe in dem Wäldchen am Heinrich-Lübke-Ufer eine Plane zwischen die Bäume gespannt und im Schlafsack auf der Bank geschlafen“, so der Rodenkirchener Baars, der schließlich über einen Streetworker beim Verein „Oase“ Unterstützung fand. Der Verein kümmert sich um Menschen in Wohnungsnot, bietet eine ambulante medizinische Betreuung und dient als Postanschrift für die Leute ohne Adresse. Die Post für Hans Baars kommt nicht mehr in die Wilhelmstrasse, sondern in die Alfred Schütte-Allee, den Sitz der „Oase“. Die Oase war seine Rettung, die Sozialarbeiter hätten ihm sehr geholfen, ihm klargemacht, dass ich sich für seine aktuelle Lebenssituation nicht schämen muss.
„Ich zeige mich wieder in Rodenkirchen und spreche offen über meine Lage. Es tut mir gut, dass es tatsächlich Menschen gibt, die mir helfen. In der Werkstatt der Metzgerei Jupp Schlömer darf ich duschen und bekomme auch mal eine Wurst in die Hand gedrückt“, so Baars, der inzwischen auf dem Hermannshof im Hahnwald eine vorübergehende Bleibe gefunden hat. Dort darf er bis Ende Februar schlafen.
„Wir kennen den Hans, er war jahrelang Kunde bei uns, hat immer frische Eier gekauft, meine Frau und ich möchten ihm wenigstens über den Winter ein Dach über dem Kopf geben“, sagt Bauer Wilhelm Wirtz.
Der 64-Jährige Obdachlose gibt nicht auf und versucht wieder auf die Beine zu kommen. Er hat jetzt seine Rente beantragt, hofft auf eine Wohnung und einen Job, der ihm mehr einbringt als der Verkauf der Obdachlosenzeitung „Draussenseiter“. Was er in Rodenkirchen verkauft, das reicht gerade mal für ein belegtes Brötchen und einen Kaffee. „Ich möchte nicht betteln, deshalb verkaufe ich diese Zeitung. Und ich bin sehr dankbar, dass es so nette Menschen gibt, die mir ab und zu einen 5 €-Schein zustecken“, sagt Baars, dem auch im Vorfeld der Wahlen am 23. Februar anscheinend die Lobby fehlt.
Info-Kasten
Das Straßenmagazin ‚Draussenseiter‘ erscheint elf Mal im Jahr und ist die älteste Obdachlosenzeitung Deutschlands. Seit fast 20 Jahren ist Christina Bacher die Chefredakteurin des „Draussenseiter.“ Für ihr ehrenamtliches Engagement wurde sie 2020 von dem renommierten ‚medium magazin‘ als ‚Regional-Journalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen, soziale Themen, Lebensgeschichten von Menschen, die auf der Straße leben, Tipps wo es Kultur ohne Eintrittskarte gibt und einen Wegweiser durch den Behördendschungel. Die Zeitschrift wird von dem Verein ‚Oase‘ herausgegeben, kostet 3,40€ und wird ausschließlich von Obdachlosen verkauft, die sich als Mitarbeiter der Oase ausweisen können.
Möchten Sie mehr wissen, dann klicken Sie hier: DRAUSSENSEITER Köln – Die Stimme der Strasse
Der Text und die Bilder wurden von einer treuen Leserin eingereicht, die namentlich nicht genannt werden möchte. Was wir sehr akzeptieren und wofür wir uns sehr bedanken. Denn auch das ist Kölner Stadtteilliebe, Menschen aus dem Veedel nicht zu vergessen.
